75 Jahre Volkswagen in der Schweiz – Am Anfang war der Käfer
Vor 75 Jahren kamen die ersten Volkswagen in die Schweiz und legten den Grundstein für eine einzigartige Erfolgsgeschichte. Brand Director Claude Gregorini und AMAG Kommunikationschef Dino Graf blicken auf die Importanfänge zurück und wagen einen Blick in die Zukunft.
Interview Reto Neyerlin Fotos Christof René Schmidt
Dino Graf, Sie sind seit 34 Jahren bei der AMAG, waren von 1998 bis 2008 Pressechef von Volkswagen und kennen die Geschichte der Marke in der Schweiz wie kaum ein anderer. Wie hat Ihre Leidenschaft für Volkswagen begonnen?
DINO GRAF: Ich bin ein VW Kind. Meine Grossmutter fuhr einen perlweissen Käfer 1962, mein Vater hatte diverse Käfer sowie einen VW 1500 und meine Mutter einen orangen Käfer von 1969, später waren es dann rote Golf. So war klar, dass auch mein erstes Auto ein Golf wurde.
Und bei Ihnen, Claude Gregorini?
CLAUDE GREGORINI: Bei mir sieht es ein wenig anders aus. Ich komme aus einer Halb-Gastarbeiter-Familie mit einem italienischen Vater und einer welschen Mutter. Und so bin ich vor allem mit italienischen Marken aufgewachsen. Unsere Nachbarsfamilie hatte aber immer einen VW Passat. In diesem waren wir häufig zu sechst unterwegs, mit uns Kindern im Kofferraum, was damals noch erlaubt war.
Im Mai 1948 kamen die ersten Käfer in die Schweiz, wenige Jahre später folgte der VW Bus. Welche Bedeutung hatte der Importbeginn von Volkswagen für die Entwicklung der Mobilität in unserem Land?
DINO GRAF: In den Anfängen war ein Auto etwas für die besseren Herrschaften. Mit dem Käfer passierte in Europa jedoch das, was in den USA bereits 40 Jahre früher mit dem Ford T gestartet war: die Demokratisierung der individuellen Mobilität. Endlich ein günstiges, problemloses Fahrzeug, das das Autofahren für viele bezahlbar machte. Über viele Jahre hinweg prägten Käfer und VW Bus das Strassenbild, sie erreichten Marktanteile von bis zu 30 Prozent pro Modell – das ist heute unvorstellbar.
Der Mann, der Volkswagen vor 75 Jahren in die Schweiz brachte, war AMAG Gründer Walter Haefner (1910 – 2012). Herr Graf, Sie haben ihn noch persönlich gekannt. Was zeichnete Walter Haefner als Mensch und Unternehmer aus?
DINO GRAF: Ich hatte nur wenig Kontakt mit ihm, aber er war für uns alle die «Graue Eminenz». Was ihn aus meiner Sicht auszeichnete, war seine Bescheidenheit. Er stellte sich nie in den Mittelpunkt. So antwortete er auf die Frage, was er mache, stets mit «Ich arbeite bei der AMAG …» Als Unternehmer war er, wie unsere Geschichte zeigt, sehr visionär. Er gründete die Werksschule für Lernende, eröffnete die AMAG Überland mit einem Mövenpick Restaurant oder führte Ende der 50er-Jahre den ersten Computer zur Lagerbewirtschaftung ein. Gleichzeitig förderte er soziale Aktivitäten und die Kultur. Er gestaltete die AMAG bereits nachhaltig, als dieser Begriff noch nicht «in Mode» war.
«Der Käfer demokratisierte in Europa die individuelle Mobilität.»DINO GRAF
Die Marke Volkswagen hat viele Technologien für die breite Masse erschwinglich gemacht. Welche waren die wichtigsten?
DINO GRAF: Das Entscheidende war eben genau die Demokratisierung der neuen Technologien. Waren Airbags oder ABS zuerst nur etwas für Autos in der Luxusklasse, brachte Volkswagen diese meist als erster Anbieter serienmässig in die Volumenmodelle. Auch andere technische Innovationen kamen bei Volkswagen besonders früh zum Einsatz, beispielsweise die Benzineinspritzung und die Computerdiagnose ab Ende der 60er-Jahre. Zudem war die Marke seit den frühen 50er-Jahren auch Pionier beim Recycling mit dem Austauschteile-Programm.
Auch im letzten Jahr war Volkswagen die Nummer 1 in der Schweiz – und das zum 23. Mal in Folge. Weshalb ist die Marke so beliebt bei uns?
CLAUDE GREGORINI: Wer einen Volkswagen kauft, erhält ein qualitativ hochwertiges Auto mit einem guten Preis-Leistungs-Verhältnis und einem zeitlosen Design. Dazu kommt ein flächendeckendes Händlernetz mit top geschultem Personal, sodass die Kunden in der ganzen Schweiz auf kompetente Ansprechpartner zählen können.
DINO GRAF: Das Vertrauen in das Produkt Volkswagen ist in der Schweiz nach wie vor sehr hoch. Das hat mit dem VW Käfer angefangen, der einfach zu warten und für die damalige Zeit sehr zuverlässig war. Der Werbeslogan «Er läuft und läuft und läuft …» kam nicht von ungefähr. Modelle wie der Golf, der Passat oder der Tiguan haben die Markenwerte gefestigt und bis in die heutige Zeit getragen. Und die Mitglieder der ID. Familie setzen diese Tradition nun fort.
2022 hat Volkswagen in der Schweiz 25 420 Fahrzeuge verkauft, was einem Marktanteil von 11,3 Prozent entspricht. Zufrieden damit?
CLAUDE GREGORINI: Mit dem Resultat sind wir sehr zufrieden. Wir konnten unseren Marktanteil sogar um 0,5 Prozent steigern, dies bei einem rückläufigen Gesamtmarkt. Leider haben aber mehrere, sich überlappende Krisen dafür gesorgt, dass es zu Engpässen bei verschiedenen Bauteilen und deshalb zu Lieferverzögerungen gekommen ist – nicht nur bei uns, auch bei den meisten anderen Marken. Da wäre die Chipkrise, die ihren Ursprung in der CoronaPandemie hat und bis heute anhält. Dann hat der schreckliche Krieg in der Ukraine die Lieferketten ebenfalls stark durcheinandergebracht. Als Folge mussten und müssen die Käufer teilweise über ein Jahr auf ihr neues Fahrzeug warten. Wir können uns nur bei unseren Kunden für ihr Verständnis und ihre Geduld bedanken und sind zuversichtlich, dass sich die Situation im Laufe des Jahres stabilisiert und ab 2024 normalisiert.
Es gab in den 75 Jahren nicht nur Höhe-, sondern auch Tiefpunkte. Der gravierendste war die Dieselthematik 2015. Wie hat man diese rückblickend gemeistert?
DINO GRAF: Es ist für mich noch immer unverständlich, dass dies passieren konnte. Für uns als AMAG war die Überraschung so gross wie für die Öffentlichkeit. Wir haben die Krise den Umständen entsprechend recht gut gemeistert, so war die Schweiz auch das erste Land, das die Software-Updates bei allen betroffenen Fahrzeugen aufgespielt hat. Ich glaube, es ist unserer Organisation auch gelungen, den Kundinnen und Kunden aufzuzeigen, was effektiv passiert war.
Inzwischen kann man festhalten, dass die Krise für Volkswagen auch eine Chance war. Wo steht die Marke heute?
CLAUDE GREGORINI: Die Dieselthematik war sicher die Auslöserin, dass sich Volkswagen komplett neu ausgerichtet hat. Heute ist die Marke Vorreiterin in der Elektromobilität und hat mit dem Modularen Elektrifizierungsbaukasten (MEB) Pionierarbeit geleistet. Ab 2033 will Volkswagen in Europa sogar nur noch Elektroautos produzieren. Zudem bekennt sich der ganze Konzern zum Pariser Klimaabkommen und hat sich auf den «Way to Zero» begeben – mit dem Ziel, bis 2050 klimaneutral zu sein.
Welches sind die grössten Herausforderungen, damit die Elektromobilität für alle funktioniert?
DINO GRAF: Wie immer muss eine neue Technologie einen Kundenmehrwert bringen, damit sie Erfolg haben kann. Die Elektromobilität bringt diesen Mehrwert: Sie ist klimaschonend, über das ganze Autoleben kostengünstig und bietet erst noch Fahrspass. Nun müssen wir aber dafür sorgen, dass die Infrastruktur Schritt hält und dass die Energieversorgung gewährleistet ist. Darum hat die AMAG im vergangenen Jahr auch Helion, die Marktführerin im Bereich Solaranlagen, übernommen. Unser Ziel ist es, dass wir den Strom, den unsere Autos benötigen, gemeinsam mit Partnern selbst produzieren werden.
CLAUDE GREGORINI: Entscheidend bei der Infrastruktur ist zudem, dass die Anzahl Ladestationen mit dem steigenden Anteil an Elektroautos mitzieht. Vor allem beim Ausbau der öffentlichen Stationen in den Städten besteht grosser Nachholbedarf, damit auch diejenigen laden können, die kein eigenes Haus oder eine Garage besitzen.
Was aktuell fehlt, sind günstige Elektroautos. Wann kommt der erste echte «E-Volkswagen»?
CLAUDE GREGORINI: Schon bald! Unter den zehn neuen Elektromodellen, die wir bis 2026 auf den Markt bringen, befindet sich auch der Kleinwagen ID.2, der unter 25 000 Franken kosten soll. Wobei man sagen muss, dass beispielsweise ein ID.3 über das ganze Autoleben bereits heute günstiger kommt als ein vergleichbar ausgestatteter Golf. Und dieses Verhältnis wird sich noch deutlicher zugunsten der Elektromodelle verschieben.
Auf welche neuen Modelle freuen Sie sich in den nächsten Monaten und Jahren am meisten?
CLAUDE GREGORINI: Grundsätzlich auf jedes, das kommen wird. Als Erstes auf den neuen ID.3, bei dem vor allem das Interieur aufgewertet wird. Und sein Design sieht jetzt richtig frech aus. Wichtig ist auch der ID.7, der Mitte 2023 seine Weltpremiere hat. Er bildet das neue Flaggschiff der elektrischen ID. Familie, verfügt über eine Reichweite von bis zu 700 Kilometern und wird auch als Kombi und mit 4MOTION erhältlich sein. Bei den Verbrennern freue ich mich besonders auf die Neuauflagen von Passat und Tiguan, die weiterhin zu unseren wichtigsten Modellen zählen. Vom Tiguan soll es übrigens bald auch eine vollelektrische Version geben.
Für das 75-Jahr-Jubiläum hat Volkswagen Schweiz einige Aktivitäten geplant. Zum Auftakt findet am 29. April, dem Tag der Vertragsunterzeichnung, eine grosse Käfer- und Bulli-Karawane statt. Werden Sie ebenfalls am Steuer eines der 75 historischen Fahrzeuge sitzen?
DINO GRAF: Ja, das werde ich sicher. Noch weiss ich aber nicht, mit welchem meiner Oldtimer ich teilnehme. Ich muss zuerst schauen, welcher den Winterschlaf am besten überstanden hat.
CLAUDE GREGORINI: Dieses Datum ist zufälligerweise auch mein eigener Geburtstag. Wenn mich Dino Graf als Co-Pilot will, werde ich dann gerne bei ihm mitfahren.
Claude Gregorini
ist seit Mai 2021 Brand Director von Volkswagen Schweiz. Seine Karriere in der Automobilbranche startete er 1989 bei der BMW (Schweiz) AG, ab 1999 war er bei der Renault Suisse SA tätig, zuletzt als Country Operations Director. Deutsch und Französisch sind seine Muttersprachen, zudem spricht er auch Italienisch und Englisch. Der schweizerisch-italienische Doppelbürger ist verheiratet und lebt in Wettingen.
Dino Graf
startete 1989 in der AMAG Presseabteilung. Nach einer Stage bei Volkswagen in Wolfsburg übernahm er in der Schweiz die Kommunikation der Marke Porsche, später auch von Volkswagen. Seit 1998 zeichnet Dino Graf für die Unternehmenskommunikation der AMAG Gruppe verantwortlich und ist seit 2012 Mitglied der Konzernleitung. Zudem betreut er das Archiv und die historische Fahrzeugsammlung des grössten Schweizer Importeurs. Er lebt mit seiner Partnerin in Würenlos.