«Das Fussballfeld ist für mich wie ein Schachbrett»
Mit der Qualifikation für die Fussball-Weltmeisterschaften 2022 in Katar hat der neue Nati-Trainer Murat Yakin ein erstes dickes Ausrufezeichen gesetzt. Im Gespräch erläutert er seine Beziehung zu Social Media, weshalb unter ihm die Trainings öffentlich sind und was er an seinem Volkswagen Touareg schätzt.
Interview Reto Neyerlin Fotos Keystone-SDA, SFV
Murat Yakin, wie wird man Nati-Trainer?
Indem man den nötigen Leistungs- und Erfolgsausweis mitbringt, die aktuelle Mannschaft kennt und auch den einen oder anderen Spieler bereits trainiert oder sogar entdeckt hat.
Und dann schickt man seine Bewerbung an den Fussballverband, sobald der Posten frei wird?
Eine Bewerbung habe ich nicht geschickt (lacht). Pierluigi Tami, der Direktor der Nationalmannschaft, kennt mich bestens, er kennt meine Daten und meine Art und Weise, wie ich mit den Menschen umgehe. Und das waren sicher die entscheidenden Faktoren, um mal zusammenzusitzen. Der Anruf kam aber doch überraschend, da ich zuvor einen Vertrag bei Schaffhausen in der Challenge League hatte.
War es Ihr Traum, Trainer der Nationalmannschaft zu werden?
Wenn mich jemand in meinen frühen Jahren als Klubtrainer gefragt hätte, wäre mir die Vorstellung schwergefallen. Im Klub bist Du täglich auf dem Fussballplatz und hast alle drei, vier Tage einen Match. In der Nationalmannschaft hingegen gibt es lediglich acht bis zehn Spiele pro Jahr. Es ist aber immer auch eine Frage des Zeitpunkts, jetzt passt es perfekt. Und es erfüllt mich mit grossem Stolz und Dankbarkeit, Trainer dieser Mannschaft zu sein.
Was haben Sie nach Ihrem Antritt als erstes geändert?
Vor allem Elemente im fussballtechnischen, taktischen Bereich. Die menschliche Komponente, also die Kameradschaft und der Teamgeist, war bereits sehr ausgeprägt. Bei den spielerischen Elementen hingegen wollte ich die Entwicklung weiter vorantreiben.
Schmeicheln Ihnen Bezeichnungen wie Taktikfuchs?
In all den Jahren, in denen ich Trainer bin, habe ich einige Übernamen und Titel verpasst bekommen – etwa der Magier oder der mit dem Zauberstab. Der Taktikfuchs hat zumindest etwas mit Fussball zu tun, das passt schon zu mir (lacht). Das Fussballfeld ist für mich wie ein Schachbrett: Da hast du die Gegner, die eigenen Spieler und musst dir deine Kombinationen zurechtlegen.
Was verlangen Sie von Ihren Spielern?
Einerseits den nötigen Respekt. Aber wir sind hier bei der Nationalmannschaft, da ist das selbstverständlich. Andererseits die spielerischen Qualitäten. Wie schnell sie meine Ideen umgesetzt haben, mit welcher Spielfreude, Dynamik und Intensität wir die Qualifikationsspiele in Angriff genommen haben, hat nicht nur mich gefreut, sondern auch bei den Zuschauern positive Signale ausgelöst. Man hat gesehen: Wir sind bereit, für unsere Nation alles zu geben.
Und was dürfen die Spieler von Ihnen erwarten?
Sicher eine gewisse Erfahrung, die ich mitbringe. Dann das Vertrauen, dass ich jeden Spieler respektiere und individuell beurteile. Schliesslich können sie von mir einen taktischen Plan erwarten, der uns zu unserem Ziel führt: an grossen Turnieren teilzunehmen.
Sie haben als aktiver Fussballer 49 Nationalspiele für die Schweiz absolviert. Dennoch ist die WM im Herbst die erste für Sie …
Das ist tatsächlich speziell (lacht). Als Spieler habe ich zwei Weltmeisterschaften knapp verpasst, USA 1994 sowie Deutschland 2006, als ich nach den ersten Qualifikationsspielen aufhörte, weil es gesundheitlich nicht mehr ging. Auch an anderen Turnieren fehlte ich verletzungsbedingt. Darum ist es bei der einen Europameisterschaft 2004 in Portugal geblieben. Als Trainer darf ich es jetzt nachholen.
Wie weit soll es in Katar gehen?
Eine Prognose ist immer schwierig. Von der Schweiz ist man es sich mittlerweile gewohnt, dass wir die Gruppenphase überstehen. Das muss auch dieses Mal drin liegen, bei der Qualität dieser Mannschaft, mit diesen Spielern, die auf höchstem Niveau in Top-Ligen spielen. Alles weitere ist dann Wettkampfglück und auch von der Tagesform abhängig.
Bei der Nationalmannschaft sind sie um Corona-Geisterspiele herumgekommen. Wie wichtig sind die Fans gerade in Qualifikationsspielen?
Wie die Qualifikation vor rund zwei Jahren mit den leeren Stadien begann, war richtig traurig. Bei meinem Premieren-Ernstkampf vor einer vollen Hütte zu spielen, war hingegen einfach nur fantastisch – und das in meiner Geburtsstadt Basel und gegen den Europameister Italien. Dieses 0:0 erwies sich dann auch als wegweisend für die kommenden Spiele. Ohne Fans wären solche Efforts, wie auch das 4:0 gegen Bulgarien im letzten Match, unmöglich gewesen. Wir durften zuletzt drei hervorragende Qualifikationsspiele in drei super Fussballstädten erleben.
Die Nati ist seit Ihrem Antritt näher an die Fans herangerückt – mit öffentlichen Trainings und Autogrammstunden. Stammte die Idee von Ihnen?
Als ich selbst in der Nationalmannschaft spielte, war jedes Training öffentlich. Entsprechend erklärte ich mich sofort bereit dazu. Man sah auch, dass es sehr geschätzt wurde, in Lausanne kamen pro Tag über 2000 Leute an die Trainings, in Genf dasselbe – was auch den Spielern gefiel. Die Fans leisten viel, sie unterstützen uns leidenschaftlich und machen weite Wege für die Nationalmannschaft. Wenn wir in Basel spielen, kommen Zuschauer aus St. Gallen oder dem Wallis. Da ist man doch verpflichtet, ihnen etwas zurückzugeben, öffentliche Trainings zu machen und sich danach die Zeit zu nehmen, ihre Wünsche nach Fotos und Autogrammen zu erfüllen.
Sie gelten als Genussmensch. Beinahe schon berühmt sind Ihre Zigarren. Gibt es andere Sachen, bei denen Sie schwach werden?
Grundsätzlich redet man ja nicht gern über die eigenen Schwächen (lacht). Ich esse gerne gut, am liebsten mit Freunden und Familie, da darf auch eine Zigarre oder ein guter Wein dazugehören. Für mich ist das Gesellige sehr wichtig, als Ausgleich zum intensiven, konzentrierten Arbeiten.
Die Fans unterstützen uns leidenschaftlich. Da ist man doch verpflichtet, ihnen etwas zurückzugeben – beispielsweise mit öffentlichen Trainings.Murat Yakin
Wie sind Sie mit dem eigenen Fitnesszustand zufrieden?
Ich hocke gerade auf meinem Bürostuhl und sehe das Laufband und die Gewichte rumstehen … (Anm.: das Interview wurde wegen der Coronasituation telefonisch geführt) In der letzten Zeit ist mein eigenes Training zu kurz gekommen. Es gab dafür mal den einen oder anderen Familienspaziergang im Wald, was natürlich auch guttut.
Aber auf dem Golfplatz sind Sie noch regelmässig anzutreffen?
Zuletzt wieder mehr. Letzten Sommer, kurz nachdem ich Natitrainer geworden war, reichte es mir kein einziges Mal. Dabei ist es herrlich, wenn man einen Tag auf dem Golfplatz verbringen darf. Ich liebe es, mich mit Freunden zusammen in der Natur zu messen.
Spielen Ihre beiden Töchter schon Fussball?
Nein. Sie sind sieben und neun Jahre alt und aktuell sehr engagiert in der Schule. Ich muss ehrlich sagen, ich bin überrascht, welch anspruchsvollen Schulstoff sie bereits meistern müssen. Da haben sich die Zeiten enorm geändert. Aber wir versuchen jeweils am Mittwochnachmittag, wenn sie schulfrei haben, zusammen sportliche Aktivitäten zu unternehmen. Das ist mein Part, weniger die Hausaufgaben.
Sie waren bereits in jungen Jahren bekannt, jetzt werden Sie wohl überhaupt nicht mehr ungestört einkaufen oder in ein Restaurant gehen können. Stört Sie das?
Auf keinen Fall. Etwas hat sich aber geändert: Als ich Spieler oder Trainer in einem Klub war, gab es im Restaurant oder an einem Anlass immer wieder faule Sprüche von Leuten, die den Klub nicht mochten. Als Natitrainer erhalte ich jedoch Anerkennung von allen Seiten, selbst von Mitbürgern ausländischer Abstammung. Das ist sehr schön, denn schlussendlich macht man diesen Job für die Nation und für die Menschen in unserem Land, nicht für das eigene Ego.
Als ich Spieler oder Trainer in einem Klub war, gab es immer wieder faule Sprüche von Leuten, die den Klub nicht mochten. Als Natitrainer erhalte ich Anerkennung von allen Seiten.Murat Yakin
Wenn man Sie auf Social Media sucht, wird man nicht fündig.
Nein, das ist nicht meine Welt. Ich wollte gerade mein Profilbild auf dem Handy wechseln und hatte Mühe ein aktuelles Selfie zu finden (lacht schallend). Gemeinsam mit dem SFV plane ich nun aber mein eigenes Social-Media-Profil für unsere Nati-Fans, das ist natürlich okay und da mache ich auch gerne mit. Es wird jedoch garantiert nicht so weit kommen, dass ich zuhause vom Essen ein Föteli mache und dieses poste.
Wer ist Ihr grösstes Vorbild?
Vorbilder hatte ich als Teenager, heute weniger. Wobei es eine grosse Ausnahme gibt: meine Mutter. Wie sie damals in die Schweiz gekommen ist und acht Kinder fast allein grossgezogen hat, ist unvorstellbar. Meine Mutter geniesst meinen grössten Respekt.
Freunde bezeichnen Sie als geduldig und besonnen, Ihr Bruder Hakan sogar als Ruhe in Person. Gibt es nichts, das Sie explodieren lässt?
Doch, ich kann auch laut werden. Gerade wenn jemand versucht, meine Ruhe und Geduld auszunutzen, ist es mit der Freundlichkeit vorbei. Beruflich vertrage ich es nicht, wenn sich ein Spieler egoistisch verhält und sich nicht im Team einordnen will, dann aber seine Leistung nicht bringt. Das geht gar nicht.
In den vergangenen Jahren sind die Spieler mit teuren Privatautos zu den Zusammenzügen eingerückt, was für das Image der Nationalmannschaft nicht förderlich war. Seit Sie da sind, fahren Sie in Volkswagen vor.
Wir haben bei meinem Antritt gemeinsam einige Sachen andiskutiert, die wir verbessern wollten. Unter anderem diesen Punkt. Wenn man so einen starken Partner hat wie Volkswagen, dann muss man diese Partnerschaft auch pflegen, schauen, dass beide Seiten maximal davon profitieren können. Eine bessere Plattform als unsere Zusammenzüge, bei denen die Spieler bei der Ankunft fotografiert und gefilmt werden, kann es für einen Autosponsor fast nicht geben. Ich lebe das auch selbst vor: Als ich kürzlich einen Werbespot mit einer Versicherung gemacht habe, war am Anfang die Idee, dass im Clip eine andere Automarke vorkommt. Das habe ich abgelehnt und einen Volkswagen gefordert. Nun ist ein VW Käfer zu sehen.
Wichtig ist, dass mir ein Auto nach zwei Wochen nicht schon wieder verleidet. Mit dem Touareg wird das bestimmt nicht passieren.Murat Yakin
Mit welchem Auto sind Sie unterwegs?
Mit einem Touareg R-Line. Und ich bin sehr zufrieden damit. Früher beim FCB bin ich auch schon einen Touareg gefahren. Für mich hat er genau die richtige Grösse, und dynamisch ist er auch. Wirklich top ist zudem das moderne Interieur.
Was ist Ihnen wichtig bei einem Auto?
Das Auto ist der Ort, wo ich für mich allein bin und einfach mal Ruhe habe. Entsprechend sollte es bequem und geräumig sein. Aber auch die Telefonanbindung muss problemlos klappen, denn unterwegs erledige ich doch einige Anrufe.
Wie sieht Ihr Traumwagen aus?
Ich durfte in meiner Karriere schon fast alles fahren, da gibt es keinen Traumwagen mehr. Für mich geht es darum, komfortabel von A nach B zu kommen, protzen muss ich mit einem Auto nicht. Es darf gerne einen starken Motor und eine gute Ausstattung haben, aber nicht überdimensioniert sein. Wichtig ist, dass es mir nach zwei Wochen nicht schon wieder verleidet, denn ich fahre meine Autos meist sehr lange. Der Touareg wird mir aber bestimmt nicht verleiden.
Zur Person
Murat Yakin (47) wuchs als eines von acht Kindern in Münchenstein (BL) auf. Der ehemalige Junior von Concordia Basel erhielt seinen ersten Profivertrag mit 17 Jahren beim Grasshopper Club Zürich, spielte später beim VfB Stuttgart, Fenerbahçe Istanbul, dem 1. FC Kaiserslautern und dem FC Basel, wo er 2006 nach insgesamt fünf Schweizer Meistertiteln die aktive Karriere beendete. Seine grössten Erfolge als Trainer waren der Aufstieg mit dem FC Thun 2010 und zwei Meistertitel mit dem FC Basel 2013 und 2014. Weiter trainierte er den FC Luzern, Spartak Moskau, GC, FC Sion und den FC Schaffhausen. Im August 2021 wurde er Trainer der Schweizer Nationalmannschaft und qualifizierte sich mit der Nati gleich für die WM 2022. Murat Yakin ist seit 20 Jahren mit Anja Müller zusammen, seit zehn Jahren ist das Paar verheiratet und hat zwei Töchter.