Franziska Killiches, Expertin für nachhaltige Rohstoffe bei Volkswagen:
«Ich versuche, Licht ins Dunkel zu bringen»
Noch birgt die Herstellung von E-Autobatterien soziale und ökologische Risiken. Doch die Bedingungen werden besser, sagt Franziska Killiches, Expertin für verantwortungsvolle Rohstoffbeschaffung bei Volkswagen.
Text Nina Treml Fotos Dennis Williamson
Franziska Killiches, die Nachhaltigkeit von E-Autos wird im öffentlichen Diskurs oft hinterfragt, gerade was die Rohstoffbeschaffung für die Batterien angeht. Zu Recht?
Der verantwortungsvolle Rohstoffbezug ist kein spezifisches Thema der Elektromobilität, sondern betrifft jedes Industrieprodukt, vom Auto mit Verbrennungsmotor bis hin zu Laptop und Handy. Die meisten Rohstoffe entstehen ja nicht im Reagenzglas, sondern stammen auch aus Ländern, die in Bezug auf Menschenrechte und Ökologie problematisch sind. Wir beschäftigen uns in der Konzernbeschaffung mit der Nachhaltigkeit von über 16 Rohstoffen, darunter auch Leder, Naturkautschuk und Stahl. Aber Batterierohstoffe wie Lithium und Kobalt sind bei unserer Arbeit tatsächlich ins Zentrum gerückt, weil die Kunden im Rahmen der E-Mobilität besonders hohe Anforderungen stellen – zu Recht, denke ich.
Warum gestaltet sich der Einkauf nachhaltiger Batterierohstoffe so schwierig?
Wir beziehen aktuell keine Rohstoffe direkt, sondern Batteriezellen. Die Nachhaltigkeitsrisiken bestehen weniger bei unseren direkten Lieferanten aus China, Korea oder Europa, als vielmehr beim Bergbau, der bis zu neun Lieferkettenschritte von uns entfernt ist. Wir müssen sicherstellen, dass schon dort so hohe Menschen- und Arbeitsrechtsstandards eingehalten werden, dass das Material von uns akzeptiert werden kann. Nicht akzeptieren können wir etwa Kobalt aus dem Kleinbergbau in Kongo, wo die Menschen ohne Ausbildung, ohne Sicherheits- und Umweltvorkehrungen tätig sind und – als einer der schlimmsten Aspekte – teilweise noch Kinder sind.
Die Verpflichtungen von Volkswagen enden nicht vor unseren Werkstoren.Franziska Killiches
Wie kontrollieren Sie das?
Indem wir mit unseren Lieferanten Nachhaltigkeitsmindestkriterien festlegen, sie vertraglich dazu verpflichten, ihre Rohstoffherkünfte offenzulegen, im Rahmen forensischer Audits kontrollieren, ob unsere Anforderungen erfüllt werden, und gegebenenfalls Korrekturen fordern. Zum anderen versuche ich, für Volkswagen Licht ins Dunkel zu bringen. Wir hören oft über NGOs oder Medien von Nachhaltigkeitsrisiken. Meine Aufgabe ist es dann, zu prüfen, ob etwas dran ist.
Können Sie ein Beispiel nennen?
Der Lithiumabbau in der Atacama-Wüste steht unter Verdacht, das Problem der Wasserknappheit in der Region zu verschärfen. Also bin ich letztes Jahr mit einem Wissenschafterteam nach Chile gereist, um die Situation besser einschätzen zu können, mit den lithiumfördernden Unternehmen zu sprechen und vor allem auch für die direkt betroffene Bevölkerung ein offenes Ohr zu haben. Aus Wolfsburg heraus lassen sich die Probleme des weltweiten Bergbaus nicht immer verstehen.
Zu welchem Schluss kamen Sie bei Ihrer Reise?
Die Situation ist komplex. Die Lithiumgewinnung an sich verbraucht kein Trinkwasser – der Rohstoff wird mit Salzwasser aus den Ablagerungen unter der Wüstenerde gewonnen. Ihren Einfluss auf die Trockenheit können die wissenschaftlichen Experten kaum abschätzen, weil die Region generell stark vom Klimawandel betroffen ist, der Tourismus einen hohen Wasserbedarf hat und in der Gegend auch Kupfer abgebaut wird.
Wäre es nicht trotzdem sinnvoller, Lithium nur noch aus Ländern wie Australien zu beziehen, wo höhere Umwelt- und Sozialstandards gelten?
Ein Rückzug aus Chile würde der lokalen Bevölkerung eine wichtige Einkommensquelle nehmen und wird von internationalen Leitlinien nicht empfohlen. Wichtiger ist es, die Situation vor Ort zu verbessern. Einerseits unterstützen wir die lithiumfördernden Unternehmen bei der Zertifizierung nach den höchsten Umwelt- und Sozialstandards. Andererseits beteiligen wir uns an einem Projekt, das diesen April gestartet ist, um die wissenschaftliche Basis zu verbessern. Wir wollen verstehen, welchen Einfluss der Lithiumabbau hat und welche Massnahmen die ökologische Stabilität ermöglichen. Die lokale Bevölkerung sitzt dabei gleichberechtigt am Tisch.
Und wie ist es in Kongo?
Auch wenn wir nur Kobalt aus kontrolliertem, industriellem Abbau akzeptieren, beteiligen wir uns dort an einem Projekt, das auf die Kleinbergbaubetriebe zugeht, Minenarbeiter ausbildet, Bildungsangebote für Kinder bereitstellt und alternative Einkommensquellen für die lokale Bevölkerung erschliesst. Unsere Verpflichtungen enden ja nicht vor unseren Werkstoren.
Natürlich wird bei Volkswagen daran gearbeitet, dass wir weniger abhängig werden von den Rohstoffen – durch neue Batterietechnologien, aber auch BatterierecyclingFranziska Killiches
Wo sehen Sie den grössten Handlungsbedarf?
Bei der Digitalisierung der Lieferketten. Wir testen derzeit im Rahmen eines Pilotprojekts verschiedene Blockchain-Lösungen, damit es künftig möglich sein wird, zum Beispiel Kobaltmaterial von der Mine in Kongo bis zum Produktionsstandort des VW ID.3 in Zwickau zu verfolgen. Wir sind hoffnungsvoll, die Lieferketten damit in einigen Jahren vollkommen transparent zu machen. Und natürlich wird bei Volkswagen daran gearbeitet, dass wir weniger abhängig werden von den Rohstoffen – durch neue Batterietechnologien, aber auch Batterierecycling.
Müsste man ehrlicherweise nicht dazu raten, mit dem Kauf eines E-Autos noch etwas zu warten?
Wie bereits erwähnt, ist die Rohstoffbeschaffung für die Herstellung von E-Autos nicht problematischer als für andere Produkte, und die Situation wird laufend verbessert – auch was die CO₂-Bilanz der Lieferkette und der Produktion angeht. Sie als Verbraucher können sich aber heute schon fragen: Verbrenne ich lieber Benzin oder kaufe ich ein Auto, das mit erneuerbaren Energien betrieben werden kann? Also für mich wäre die Entscheidung klar.
Persönlich
Franziska Killiches, 35, ist seit Anfang 2019 im Volkswagen Konzern in der Abteilung «Nachhaltigkeitsstrategie Beschaffung» und arbeitet dort zu Themen des verantwortungsvollen Rohstoffbezugs. Davor war die studierte Politologin und Wasserökonomin aus Berlin als Beraterin bei der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (GIZ) zu Themen wie Menschenrechte, Korruptionsbekämpfung und Nachhaltigkeit im Bergbau- und Rohstoffsektor tätig.